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Ich habe als Kind eine Krone getragen,
golden, glänzend und schwer –
unbändig, wild, Wipfel und Mähne,
ein Schopf, in dem Turmsegler hausten.
Wann immer sie aufstiegen, reckte ich mich,
den Kopf im Nacken, mit offenem Mund,
und folgte gebannt dem gelassenen Gleiten.
Kapriolen und Sturzflüge sah ich.
Stürmten sie nicht
vom Himmel direkt in mein Haar?
Ich teilte mit ihnen Auge und Herz
und das Stehen im Wind,
tollkühn, die Welt, wie sie schrumpft
und sich weitet beim Aufstieg.
Mal schrill und ekstatisch,
mal leiser mit müdrauher Stimme
sprach ich mit ihnen: zrii-zrii.
Ich lernte von ihnen die seltsamsten Worte
wie Weite und grenzenlos,
die man im Haus nicht verstand.
Ich war, der mit Vögeln spricht
und sich nicht fügt,
punching ball, puncher,
das schwierige Kind,
das mittags nicht schlief
und das abends nicht schlief,
wenn Sommerlicht noch über Stunden
im Bett Langeweile beschien,
während im Nebenraum, endlich erlöst,
die Eltern ihr Leben besprachen.
Vorhänge waren den Nachbarn verdächtig,
der Träumer den Kindern im Hof.
Der wollte fliegen, die Arme ausbreiten,
als wollten ihn alle umarmen,
und schlug dabei mit Kükenflügeln
zum allgemeinen Gespött.
Spießrutenrufen: Da ist der Freak!
Sie feixten und warfen, was Ältere dachten,
dem anderen kalt ins Gesicht.
Ich habe mit einem Gewehr aus Luft
auf sie alle gezielt und geschossen.
Sie lachten nur, winkten und riefen mir zu:
Wir werden dich schon erwischen!
Ich rannte und floh auf den obersten Ast
der Kastanie vor unserem Haus.
Dort saß ich im Bannkreis aus Blättern und rief
aus dem Traumnest die Vögel hervor.
Ich wollte so hoch, wie sie flogen, hinaus
und die Spötter von oben richten
und jubeln, wenn sie dann, ameisenklein,
auf meinem Weg in die anderen Welten
aus meinem Blickfeld verschwinden.
Als unsere Mutter den Sonnenschopf sah,
die Pomelo im Grün eines deutschen Baums,
klang ihr Schrei wie der Turmsegler Schrei –
als wäre das Schrecklichste längst schon geschehen,
ihr Leben mit meinem zu Ende.
Kleinmütig, mir nicht zu trauen.
Auch sie sah die Flügel nicht.
Geübt hatte ich in den Nächten,
wenn niemand mir zusah – im Traum
lösten sich eher die Füße vom Boden.
Wenn es gelang, mit Mühe und
nur für Sekunden, zogen mich doch
die Mutterhände wieder hinab.
Uns beide konnte ich unmöglich tragen.
So ist es lange geblieben, nicht wahr?
Ich stahl mich aus Fremdheit zu Fremden,
in andere Straßen und Städte,
die Leine der Kindheit gespannt.
Und immer den Blick nach hinten gewandt …
Nach innen sprechen, nach außen schweigen –
das hat uns um Leben gebracht.
Wir saßen noch einmal unter Kastanien.
Ich hatte mit Mühe ihr schweres Bett
vom Hospiz in den Garten geschoben.
Die Enkel tollten. Sie lächelte müd.
Herbstsonne brach durch das wippende Laub
und tanzte in Flecken von Bernstein-Licht
auf dem Kissen und ihrem Gesicht.
Erinnerst du dich an den Tag,
fragte sie,
als du oben im Baum hingst?
Oh – ja.
Der leichteste Luftzug,
meinte sie,
hätte dich pflücken können …
Der Turmsegler war eine Bäckerstochter.
Wer hätte das gedacht?
Wo ich einmal saß,
habe ich zu ihr gesagt,
wird man mich nie wieder finden.
In der Nacht, als sie starb,
schlief ich leicht und stieg
schwerelos auf,
und niemand hielt meine Hände.